Appendix I

Nachrichten

von der

Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften

zu Göttingen.

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Geschäftliche Mitteilungen.

1909. Heft 1.

Benekesche Preisstiftung.

Auf die im Jahre 1906 gestellte Preisaufgabe:

"Von Eötvös wurde eine sehr empfindliche Methode angegeben, Trägheit und Gravität der Materie zu vergleichen. Mit Rücksicht hierauf und im Hinblick auf die neuere Entwicklung der Elektrodynamik sowie auf die Entdeckung der radioaktiven Substanzen ist das Newtonsche Gesetz der Proportionalität von Trägheit und Gravität möglichst weitgehend zu prüfen" ist eine Bewerbungsschrift mit dem Titel:

"Beiträge zum Gesetz der Proportionalität von Trägheit und Gravität",

und dem Motto:

"Ars longa, vita brevis"

eingelaufen.

Um zu einem Urteil der Bewerbungsschrift zu gelangen, scheint es wichtig, die Gesichtspunkte zu beachten, welche die Gesellschaft bei der Stellung der Preisfrage leiteten.

Das von Newton entdeckte und nach ihm benannte Gesetz der Allgemeinen Gravitation, welches die Erscheinungen der materiellen Welt in ihrer Gesamtheit umfaßt, spricht einige Sätze aus, die überaus merkwürdig sind, die man aber trotzdem nicht hervorzuheben pflegt: 1) Die Anziehung wird garnicht beeinflußt durch die physikalische Beschaffenheit der Materie, sondern wird einzig und allein durch die "Trägheit" bestimmt. Mit dieser Trägheit sind die Fernwirkungen proportional, sodaß man kurz den Satz formulieren kann: Das Verhältnis von Gravität und Trägheit ist für alle materiellen Teilen unveränderlich und für alle gleich groß. Da allen materiellen Teilen eine unveränderliche Trägheit anzuhaften scheint, so wäre zu folgern, daß auch die Gravität eine unveränderliche Eigenschaft der Materie ist. 2) Die Fernwirkung irgend zweier materieller Teile wird durch die Anwesenheit der übrigen materiellen Teile nicht beeinflußt. - Ein Teilchen im Innern der Erde und eines inmitten des Sonnenballes, ziehen hiernach einander gerade so an, als ob die von dem Erdkörper und dem Sonnenkörper gebotenen materiellen Mäntel garnicht vorhanden wären. 3) Die Fernwirkung hängt allein von der jeweiligen gegenseitigen Lage der materiellen Körper, nicht von ihrem Bewegungszustand ab. Es scheint hiernach die Gravitation sich in unendlicher Geschwindigkeit auszubreiten. -

Man hat sich an den Gedanken der unbeschränkten Gültigkeit des Newtonschen Gesetzes so sehr gewöhnt, daß das Gefühl für die Merkwürdigkeit der hervorgehobenen Sätze fast verloren gegangen ist.

In ein neues Licht ist die Frage nach der Gültigkeit der Newtonschen Gesetze gerückt worden durch die Erfolge der theoretischen Elektrodynamik. Auch in den elektrischen und magnetischen Kräften hatte man anfänglich Einwirkungen ganz ähnlicher Art wie bei der Gravitation gesehen. Nun lehrte Maxwell , daß die elektrischen und magnetischen Kräfte sich nicht mit unendlicher, sondern mit der Geschwindigkeit des Lichtes ausbreiten. Er zeigte ferner, daß die Wechselwirkung bei den magnetischen und elektrischen Erscheinungen sehr wesentlich je nach der Art des Zwischenmediums variiert. Dadurch schon wurde die Physik von neuem angeregt, die Gültigkeit der Sätze 2) und 3) in Zweifel zu stellen. Noch tiefere theoretische Bedeutung gewann der Satz 1), der die Proportionalität von Gravität und Trägheit ausspricht. Es gelang der Elektrodynamik zu zeigen, daß mit einer elektrischen Ladung das Bestehen einer Trägheit im Sinne der Mechanik verbunden ist, und es wurde festgestellt, daß im Innern eines jeden materiellen Körpers eine außerordentlich große Zahl sehr stark elektrisch geladener kleiner Teilchen vorhanden ist. Danach nun schien es nicht ausgeschlossen, daß ein wesentlicher Teil der beobachteten Trägheit der Materie, vielleicht die Trägheit überhaupt, sich elektrodynamisch erkläre. So wurde die Gravitation, die doch mit der Trägheit zusammenhängt, jetzt anch in Verbindung mit der Elektrodynamik gebracht, und es rückte der Satz von der Proportionalität von Gravität und Trägheit in eine neue überraschende Beleuchtung.

Diesen Erwägungen weiter nachgehend, welche zu der Frage führen, wie die Materie in das physikalische Weltbild einzuordnen ist, schien es der Fakultät besonders wichtig, dem Satz von der Proportionalität der Trägheit und der Gravität erneut die Aufmerksamkeit zu schenken, und insbesondere erschien die denkbar schärfste experimentelle Prüfung dringend erwünscht. Dies war der Anlaß zur Stellung der Preisaufgabe für 1909. -

Die Bewerbungsschrift mit dem Motto: "Ars longa, vita brevis" geht auf die theoretischen Erwägungen, an die erinnert wurde, garnicht ein, berührt sie nicht einmal. Damit ist klar, daß einem wesentlichen Teil der Wünsche, welche die Fakultät bei Stellung der Preisaufgabe leiteten, nicht Rechnung getragen wird. Dafür wird die ganze Kraft auf die Ausführung der experimentellen Untersuchung verwendet, und es wird auch gezeigt, wie man unter Verwertung bekannter Erfahrungen über die Erscheinung bei Ebbe und Flut weitere wertvolle Folgerungen für das hier zur Behandlung stehende Problem ziehen kann. -

Es werden ohne eine Aenderung die durch Eötvös konstruierten Apparate benutzt. Dem Studium der Fehlerquellen wird eine große Aufmerksamkeit geschenkt, sodaß die Beobachtungen einen hohen Grad der Zuverlässigkeit erhalten. Die gewonnenen Resultate sind so wertvoll, daß es die Fakultät mit Genugtuung begrüßen darf, durch Stellung der Preisaufgabe, zu den Beobachtungen Anlaß gegeben zu haben.

Newton fand für eine Reihe von untersuchten Materialien, daß Gravität und Trägheit jedenfalls bis auf etwa 1/1000 ihrer Größe mit einander proportional sind. Bessel zeigte, bei Gelegenheit seiner Pendelversuche, daß die etwaigen Abweichungen höchstens 1 : 60000 erreichen könnten. Eötvös hat mitgeteilt, daß es ihm mit seinen Apparaten möglich geworden sei, die Proportionalität bis auf 1/20 000 000 zu eiweisen; er macht aber keine Angaben über das Beobachtungsmaterial. In der Preisschrift wird auf Grund des neuen Beobachtungsmaterials nachgewiesen, daß für eine ganze Reihe sehr verschiedener Materialien (Platin, Magnalium, Kupfer, Wasser, krystallisiertes Kupfersulfat, Kupfersulfatlösung, Asbest und Talg) die Abweichung von dem Gesetz der Proportionalität jedenfalls nicht größer als etwa 1/200 000 000 ist. Auch ließ sich zeigen, daß mit der chemischen Reaktion Silbersulfat-Ferrosulfat, die seinerzeit von Landolt verwertet wurde, um den Satz von der Konstanz der Masse zu prüfen und mit der Auflösung von Kupfersulfat in Wasser, die Heydweiller zu gleichem Zwecke verwendete, Veränderungen des Verhältnisses von Gravität und Trägheit in dem angegebenen Grenzbetrage jedenfalls nicht eintreten. - Von besonderem Interesse ist auch, daß eine sehr stark radioaktive Substanz, Radium-bromid, der Untersuchung unterworfen wurde. Die experimentellen Schwierigkeiten waren hier naturgemäß sehr viel größer und darum die Schärfe des Resultates erheblich geringer. Es ergab sich, daß eine etwaige Abweichung des Verhältnisses von Gravität und Trägheit bei dem Präparat jedenfalls nicht größer war als etwa 1 /2 000 000.

Auch der oben unter 2) aufgeführte Satz wird einer Prüfung unterzogen, nach dem die Wechselwirkung der Gravitation durch Zwischenschalten von Materie nicht beeinflußt werden soll. Dabei werden Versuche angeführt, die schon vor längeren Jahren (1902) angestellt worden sind, denen aber nur der Charakter als Vorversuch beigelegt wird. Es läßt sich folgern, daß durch eine zwischenliegende Bleiplatte von einer Dicke gleich dem Durchmesser der Erde die Gravitation um nicht mehr als etwa um 1/800 ihres Betrages geändert würde. Hieran knüpfen die Verfasser theoretische Erörterungen über die Ebbe- und Fluterscheinungen und folgern, - insbesondere auch aus den Heckerschen Beobachtungen der Fluterzeugenden Kraft mittels des Horizontalpendels - daß die Zwischenschaltung der ganzen Erde die Anziehung der Sonne auf ein materielles Teilchen um weniger als den 10000. Teil ändert. -

Das Endresultat der ganzen Arbeit wird so ausgesprochen: "Wir haben eine Reihe von Beobachtungen angestellt, die an Genauigkeit alle vorangehenden übertrafen, doch konnten wir in keinem Falle eine bemerkbare Abweichung von dem Gesetz der Proportionalität von Trägheit und Gravität entdecken".

Die Verfasser bemerken zu Anfang ihres Berichtes: Mit Rücksicht anf die Kürze der Zeit, die uns für die genauere Durchsicht unserer Arbeit zur Verfügung stand, bitten wir für eventuell vorkommende Schreibfehler und das Wesen der Resultate nicht beeinträchtigende Rechenfehler um Nachsicht. So mag denn nicht viel Gewicht darauf gelegt werden, daß in der Tat bei der Beurteilung der Flutwirkung ihre Darlegungen mehrfach Verbesserungen und Vervollständigungen bedürfen.

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Es ist gewiß, daß die Verfasser der Preisarbeit in sehr wesentlichen Punkten den Erwartungen der Fakultät nicht entsprochen haben, und es muß auch bemerkt werden, daß in Einzelheiten die Ausführungen nicht anerkannt werden können. Trotzdem aber bringt die Arbeit höchst wertvolle Resultate, indem sie als Grundlage für alle theoretischen Spekulationen den außerordentlich weitgehenden Gültigkeitsbereich der Newtonschen Gesetze zeigt. Die Fakultät steht darum nicht an, der Arbeit den vollen Preis zu erteilen.

Göttingen, den 1. April 1909.

Die philosophische Fakultät.
Der Dekan:
C. Runge.


Appendix II

EXPERIMENTELLE UNTERSUCHUNGEN
ÜBER DIE PROPORTIONALITÄT VON GRAVITÄT
UND TRÄGHEIT.

Von J. RENNER, (Budapest.)

Als Fortsetzung der von Baron R. EÖTVÖS, D. PEKÁR, und E. FEKETE noch im Jahre 1908 unternommenen, im nächsten Jahre mit dem ersten Preis aus der Benecke'schen Stiftung von der Universität Göttingen preisgekrönten, aber erst im Jahre 1922 veröffentlichten Untersuchungen wurden vom Verfasser weitere Beobachtungen mit der Absicht ausgeführt, um die Genauigkeit der Drehwagemethode womöglich zu erhöhen. Dies gelang einerseits durch die geeignete Wahl der Drehwage und der vorzüglichen Torsionsdrähte, anderseits durch die vollkommene Beseitigung der störenden Einflüsse der Temperaturschwankungen.

Zur Beobachtung wurden solche Stoffe gewählt, welche bei den obengenannten Untersuchungen nicht vorkamen. Die bekannte EÖTVÖS'sche Methode, welche Beobachtungen in der Meridianstellung und in der ostwestlichen Azimutstellung benützt, wurde dadurch erweitert, dass Beobachtungen in noch vier anderen symmetrischen Azimutstellungen zur Berechnung des Einflusses der Massenverschiedenheiten herangezogen wurden. Dieses letztere Verfahren war auch dazu geeignet, um die störende Wirkung des erdmagnetischen Feldes genau in Rechnung zu ziehen; diese Korrektion erwies sich besonders bei dem diamagnetischen Stoffe Wismut als vorteilhaft.

Die folgende Tabelle enthält die Ergebnisse der Beobachtungen; x bedeutet darin den spezifischen Attraktionskoeffizienten der Gravitationskonstante nach der Formel

f1 = f(1 +x).

Aus dieser Tabelle ist es zu sehen, dass der Unterschied der spezifischen Attraktionskoeffizienten in jedem Falle kleiner ist, als der mittlere Fehler. Die mittleren Fehler sind alle von derselben Grössenordnung und ihr Mittelwert beträgt ±0·52.10-9 Die Gravitationskonstante ist für die untersuchten Stoffe allgemein bis zur Genauigkeit von 1 : 2 000 000 000, in einem Falle sogar von 1 : 5 000 000 000 von der Beschaffenheit der Körper unabhängig.

Einige untersuchten Stoffe, wie Paraffin und Ammoniumfluorid geben Aufschluss darüber, dass der bei Vergleich von Heliumkernen und Protonen auftretende sogenannte Massendefekt auf die Anziehungskräfte keinen Einfluss hat.

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(Aus der Sitzung der III. Klasse der Ungarischen Akademie der Wissenschaften vom 18. März 1935.)


Appendix III*

              Dear Professor R.H.Dicke!

I read with great interest your valuable treatise about the Eötvös
experiment published in the "Scientific American" in the number of
December 1961. I know your previous studies in this matter too. I am
fully convinced of the great importance of your experiments carried
out with up to date methods. The accuracy achieved by your experi-
ment is much greater than the accuracy of the previous works done
by R.  Eötvös and his collaborators. The fundamental question of the
independence of gravitational acceleration from the quality of mate-
rial can be considered now as proved. I have to congratulate for
your experimental results of high accuracy.
I was student and later on collaborator of Eötvös and I repeated his
famous experiments in the year 1930-1935. I beg you to allow me some
suggestions relating your remarks about the original experiments of
Eötvös. I have to mention, that your interesting treatise was trans-
lated in Hungarian and published in the periodical "Fizikai Szemle".
My suggestions were published in the same periodical. I enclose a
copy of it in Hungarian.
As the Hungarian experiments were made by visual readings, the mass
of the observer could have exert any influence to the position of
equilibrium. But the observing time was always rather short and the
observer did not stay for long time near to the instrument, as you
already assumed it.
Concerning the influence of sudden changes of temperature, Eötvös
took care to eliminate the unfavourable effects. The experiments were 
carried out in a dark room, where temperature was practically steady.
In the room there was mounted a linen tent, the walls of it were 
filled with isolating material and the instrument was brought inside
this tent. Besides the instrument had a triple shell of metal around 
the chamber containing the torsion balance, as Professor had already 
mentioned in the publication. Accordingly there was no reason of 
taking place any convection currents in the inside of the balance.
Specially prepared torsion wires were used, which had no any drift 
caused by elastic properties or change of temperature. The posi-
tions of equilibrium appeared even in long observation sets very 
constant.
You have correctly suggested the disturbing effect of even quite small 
magnetic impurities in the moving parts of the balance. Eötvös and
his collaborators eliminated the assumable effect by compensating 
the geomagnetic field with permanent magnets and electromagnetic 
coils. The compensation was always controlled. The compensating magnets 
were so mounted, that they should not produce any translatoric effect.
Besides the materials used in the balance were controlled concerning 
their magnetic properties.
There is another question, that Eötvös and his collaborators used a
horizontal variometer, in which one of the masses was suspended 
lower, so that the horizontal gradient of the acceleration had influ-
ence too. This caused no any disadvantage, as the method of Eötvös 
counted on the effect of the gradient. When different materials were 
hanged on the balance, the centre of gravity was always in the same 
height and the balance took place in the same gravitational field. 
The optical diffraction in the telescope caused no erroneous readings.
The 20-th part of a scale division could be precisely read by a 
skilled observer.
Concerning my own experiments carried out in the years 1930-1935, 
I have to mention, that I did not use the old Eötvös balance, but an 
improved new one, the thermical and magnetic effects were perfectly 
eliminated and very reliable torsion wires were used. The positions 
of equilibrium were kept in long observation sets constant. In this 
way it succeeded to extend the accuracy.
I would be very grateful, if you would be kind to publish a remark 
of my suggestions above concerning the original experiments of Eötvös 
and his collaborators, if possible in the same periodical, in which 
your interesting study appeared.

                             With kind regards

Budapest, 26. VII. 1963.
                                                Yours faithfully
                                                  
                                                 / Dr. J. Renner /
                                           Budapest VII Damjanich u. 28/b

* The original of this letter can be found in the Library of the Hungarian Academy of Sciences.